Persönlich

Sie lassen Ideen zu Wirklichkeit werden

Text: Marco Zysset
Fotos: Patric Spahni
Am Anfang war das Handwerk. Dann folgte die Krise. Und heute kaufen die Schönsten und Reichsten der Welt Möbel und Einrichtungen von der Röthlisberger Schreinerei AG. Ein Besuch beim Handwerksbetrieb, der in einem Vorort im Süden von Bern Werke von zeit- und grenzenloser Schönheit und Wirkung erschafft.

Was die Angestellten der Schreinerei Röthlisberger AG erschaffen, muss höchsten Ansprüchen in Design und Funktionalität genügen.
Was die Angestellten der Schreinerei Röthlisberger AG erschaffen, muss höchsten Ansprüchen in Design und Funktionalität genügen.

Der Tisch im Medienzentrum des Bundeshauses, an dem die Behörden unter anderem von der CS-Übernahme durch die UBS informierten. Foto: PD
Der Tisch im Medienzentrum des Bundeshauses, an dem die Behörden zuletzt von der CS-Übernahme durch die UBS informierten. Foto : PD
Der berühmteste Tisch der Schweiz der Neuzeit kommt aus Gümligen in der Gemeinde Muri, BE: Der Tisch, an dem zum Beispiel der Bundesrat und die Mitglieder der Corona-Taskforce die Medien und die Öffentlichkeit während der Pandemie fast täglich über die gerade bewältigten, die aktuell geltenden und die kommenden Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie informierten. Und falls dieser Tisch – oder ist es eher ein Pult oder gar eine Theke? – der hiesigen Leserschaft nicht aufgefallen sein sollte, dürfte das durchaus auch im Sinn der Macherinnen und Macher von der Röthlisberger Schreinerei AG sein. «Unsere Arbeit zeichnet sich durch Funktionalität, einen hohen Verarbeitungsstandard und durch zeitloses Design aus», sagt Beat Röthlisberger.

Er ist Mitglied der Geschäftsleitung und führt das Unternehmen in vierter Generation zusammen mit seinen Brüdern Mark und Jan sowie Andreas Kramer und Roland Keller. Präsidiert wird die AG von Peter Röthlisberger, der sich 2017 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat. Oder andres gesagt: So funktional und schlicht die Produkte aus dem Hause Röthlisberger, so schlank und klar strukturiert ist die Firma selber organisiert. Damit steht das Unternehmen, das in fünf Jahren sein 100-jähriges Bestehen feiern darf, für Werte, für welche die Schweiz weltweit geachtet wird. Und ist vielleicht genau deshalb so erfolgreich unterwegs.

«Unsere Arbeit zeichnet sich durch Funktionalität, einen hohen Verarbeitungsstandard und durch zeitloses Design aus.»
Beat Röthlisberger

Denn: So ehrenvoll die Einrichtung des Medienzentrums und anderer Räume im Bundeshaus für ein KMU aus dem Süden der Hauptstadt auch sein mag – der Auftrag ist einer von vergleichsweise kleiner Strahlkraft in der illustren Firmengeschichte. Im Gespräch erwähnt Beat Röthlisberger Namen von Kundinnen und Kunden, die fast täglich in Wirtschaftsoder Klatschmedien auftauchen. Und zwar auf der ganzen Welt, nicht nur in der Schweiz. Und doch wirkt es nie künstlich oder aufgesetzt, wenn Beat Röthlisberger konsequent das Verb «dürfen» verwendet, wenn er von den prestigeträchtigen Aufträgen und Projekten spricht, welche die Firma in ihrer langen Geschichte schon realisieren – ja eben – durfte.

Doch die Frage ist berechtigt: Warum wurde ausgerechnet aus der Schreinerei Röthlisberger in Gümligen – einst eine Wagnerei, später eine Schreinerei, wie es nicht nur im Kanton Bern unzählige gibt – zu einem Unternehmen, auf dessen Produkte die Schönsten und Reichsten der Welt abfahren, so dass es mittlerweile Niederlassungen in London und New York eröffnet hat?

Auslöser war – wie so oft – eine Krise. Von 1955 bis 1975 fertigte die Soltermann und Röthlisberger Möbel und Bauschreinerei, wie das Unternehmen damals hiess, im Auftrag von Knoll International Tische und Sideboards. «Mit der Weltwirtschaftskrise wurden die Kosten für die Produktion in der Schweiz für Knoll zu hoch», berichtet Beat Röthlisberger aus der Firmenchronik. Knoll verlegte die Produktion nach Italien, «und unser Grossvater musste sich auf einen Schlag neu orientieren.» Röthlisbergers Glück: in den den 20 Jahren, in welchen das Unternehmen in Lizenz gearbeitet hatte, konnte es sich nicht nur grosses technisches Knowhow aufbauen, sondern auch ein dichtes Netz an Kontakten. «Es war Teo Jakob, der unseren Grossvater motivieren konnte, zusammen mit renommierten Designerinnen und Designern einen eigene Kollektion auf den Markt zu bringen», sagt Beat Röthlisberger.

Sie führen die Schreinerei Röthlisberger AG (v. l.): Beat Röthlisberger, Mark Röthlisberger, Andreas Kramer, Jan Röthlisberger und Roland Keller. Foto: PD
Sie führen die Schreinerei Röthlisberger AG (v. l.): Beat Röthlisberger, Mark Röthlisberger, Andreas Kramer, Jan Röthlisberger und Roland Keller. Foto: PD

«Es war Teo Jakob, der unseren Grossvater motivieren konnte, zusammen mit renommierten Designerinnen und Designern eine eigene Kollektion auf den Markt zu bringen.»
Beat Röthlisberger

So entstand 1977 die erste Edition der Röthlisberger Kollektion aus 31 Einzelmöbel, entworfen von Susi und Ueli Berger, Hans Eichenberger, Trix und Robert Haussmann, Teo Jakob, Koni Ochsner sowie Ueli Wieser. «Dank den bestehenden Kontakten waren unsere Möbel von Beginn weg auf internationalen Messen präsent und wurden dort vom Fachpublikum gut aufgenommen», sagt Beat Röthlisberger. Spätestens mit dem ikonischen Schubladenstapel von Susi und Ueli Berger gelang der Firma ein Wurf, der auch heute noch eine unverminderte Faszination ausstrahlt: Was auf den ersten Blick wie ein achtlos zusammengestellter Stapel von Holzkisten aussieht, ist in Tat und Wahrheit eine Meisterstück in Design und vor allem in Sachen technischer Verarbeitung. «Auch wenn es heute schwierig ist, die zum Teil ikonischen Stücke, die in den 70erund 80er-Jahren entstanden sind, weiterzuentwickeln oder gar zu toppen, so ist eine Herausforderung geblieben: Wege zu finden, die Wünsche und Ideen der Designerinnen und Designer Wirklichkeit werden zu lassen», sagt Beat Röthlisberger. «Aber genau das ist, was wir können wie sonst nur wenige am Markt.»

Die Klasse-Möbel aus dem Hause Röthlisberger hatten zur Folge, dass immer mehr Innenarchitektinnen und -architekten auf die Firma aus Gümligen bei Bern aufmerksam wurden. Mit dem Auftrag für den Innenausbau des Hauptsitzes von Daimler Benz in Stuttgart im Jahr 1990 realisierte das Berner KMU zusammen mit Clara Saal einen Auftrag, der in der Branche weitum für Aufsehen sorgte – und weitere Aufträge nach sich zog. «Das war damals eine Riesen-Kiste», sagt Beat Röthlisberger. «Die Firma war etwa halb so gross wie heute und leistete einen gewaltigen Effort.» Ein Kraftakt, der sich bezahlt machen sollte. Bald folgten Engagements im Inund Ausland mit Stars wie Hans-Jörg Ruch, Renzo Piano, Atelier O’ï, Shigeru Ban, Norman Foster oder Peter Marino.

Arbeiten der Röthlisberger AG: ein Konferenzraum des Parlaments im Bundeshaus in Bern
Arbeiten der Röthlisberger AG: ein Konferenzraum des Parlaments im Bundeshaus in Bern

Arbeiten der Röthlisberger AG: ein Sendepult von Radio Energy
Arbeiten der Röthlisberger AG: ein Sendepult von Radio Energy

Der nächste logische Schritt: Um all die Anfragen namentlich aus New York zeitund kundengerecht abwickeln zu können, bezog das Unternehmen im Jahr 2008 ein eigenes Koordinationsund Planungsbüro an der Seventh Avenue, mitten im Big Apple. «Dass wir ausgerechnet in der grossen Finanzkrise gestartet sind, hat die Sache damals sicher nicht vereinfacht», sagt Beat Röthlisberger. «Aber die Tatsache, dass wir mittlerweile zwei Angestellte vor Ort haben, die rasch, flexibel und vor allem persönlich auf Anfragen und Anliegen unserer Kundschaft reagieren können, hat sich definitiv bezahlt gemacht.» Und so erstaunt es irgendwie nicht, dass auch der nächste grössere Schritt in der Firmengeschichte – jener nach London – ebenfalls pünktlich auf eine Krise hin vollzogen wurde. «Wir starteten unmittelbar nach dem Brexit, dann kam Corona», sagt Beat Röthlisberger. «Das war höchst herausfordernd.»

Beat Röthlisberger ist immer wieder auch selber in der Werkstatt anzutreffen.
Beat Röthlisberger ist immer wieder auch selber in der Werkstatt anzutreffen.

Corona war selbstredend auch für die vierte Generation an der Firmenspitze der erste grosse Härtetest, den es zu bewältigen galt. «Wenn in deinem dritten Jahr auf einen Schlag 50 Prozent des Umsatzes wegbrechen, dann ist man schon gefordert», gesteht Beat Röthlisberger. Doch es scheint, als hätte die Familie ein Händchen dafür, Krisen als Booster zu nutzen, um neue Wege zu gehen und der Firma neues Wachstum einzuhauchen. So fertigt das Unternehmen, in dem rund 70 Personen beschäftigt sind – 10 davon übrigens in Ausbildung – heute nicht länger ausschliesslich Möbel und klassische Inneneinrichtungselemente. In enger Zusammenarbeit mit einem externen Klimaingenieur hat die Firma Röthlisberger ein neues Profitzentrum im Bereich «Klima» aufgebaut. «In diesem nutzen wir Einrichtungsgegenstände oder -elemente aus Holz, um den Raum zu klimatisieren», sagt Beat Röthlisberger. «So bieten wir eine Raumklimalösung, die sowohl heizen als auch kühlen kann.» Mit dieser Technologie hat die Röthlisberger Schreinerei AG mit dem Umbau Projekt Rosenbergstrasse 2021 auch gleich den renommierten Nachhaltigkeitspreis «Watt d’Or» gewonnen.

Und so scheint es, als wäre auch die vierte Generation der Familie Röthlisberger bereit, die Geschichte von herausragender Innovation, Design und Funktionalität made in Gümligen, BE, weiterzuschreiben.

Der Schubladenstapel von Susi & Ueli Berger ist eines der ikonischen Stücke der Röthlisberger Kollektion. Foto: PD
Der Schubladenstapel von Susi & Ueli Berger ist eines der ikonischen Stücke der Röthlisberger Kollektion. Foto: PD

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